Vom Übersetzen und vom Wachsen

Es ist immer Gewalt, nein, sie sagt eine Gewalt, una violenza, die man den Worten antut, wenn man sie übersetzt! Die Kunstkritikerin schaute böse auf ihren Teller. Dem ist vielleicht so, sage ich und bleibe versöhnlich: Wer des Italienischen nicht mächtig und dennoch offen ist für die Bilder und die Gedankengänge, die der Schriftsteller in seiner Poesie durchwandert, der ist verloren ohne Übersetzung. Aber nein, sagt sie, der bekommt sie einfach nicht!
Stille.
Ich möchte aber - insistiere ich - auch jenen, die sich interessieren, diese zehn Gedichte zugänglich machen, ich versuche mich zu nähern, die Gedankengänge in den Wortblöcken zu verstehen. Ich versuche, die Dinge dann so zu beschreiben, wie ich sie mit meinem Wortschatz beschreiben kann, ohne dass etwas wegfällt oder auffällt, was nicht auffallen muss, wenn es eins zu eins, Wort für Wort nicht funktioniert! Das ist Vermitteln und hat nichts mit Gewalt zu tun.
Aber nein, ruft sie, es ist eine Gewalt, una violenza, sempre, immer!
Sie trinkt Wasser. Dann sagt sie: Ich kann kein Englisch, also kann ich auch nichts von Dickinson oder von Yates lesen.
Stille.
Ein Teller wird mir hingestellt.
Wir essen.
Ich denke nach.
Meine Sprache ist Deutsch. Italienisch habe ich gelernt und lerne es immer noch. Ich war einige Tage mit der ersten Übersetzung von zehn Gedichten eines italienischen Autors beschäftigt. Später, möglichst ohne auf seine Poesien zu schielen, übersetzte ich sie ihm zurück, um zu verstehen, was ich verstanden habe. In meinen italienischen Worten erklärte ich ihm, was er gemeint habe und es war mühevoll, so zu arbeiten. Ich sah wie er manchmal litt, aber die Zusammenarbeit war erhellend. Denn nur in ihm fließt der Gedanke aus der Stille zu dem Hirnareal mit der Wörterbibliothek, wo er einen Ausdruck findet. Nur er hatte beim Schreiben die Worte wählen können, die er dann zu seinen Gedichten machte. Ich beschrieb, was er mir von sich und seinem Denken zeigte und was ich davon hatte verstehen können. Dann erst konnte ich die Gedichte sorgfältig in eine deutsche Sprache übersetzen.
Wir essen nach wie vor und ich denke weiter.
Das Gedicht ist Gebäude, ist Schlitten, ist Rinnsal, eine Drehung, ein Verb, ein Lied meinetwegen. In einer anderen Sprache wird es nicht anders, aber es wird anders gesungen. Die Sprachen sind schon ihres Klanges wegen in verschiedenen Abteilungen in meinem Gehirn zuhause. Und meine Zunge legt sich sofort anders in den Mund, wenn ich Italienisch rede.
Die Stille wird unterbrochen.
Wein wird eingeschenkt.
Dann sagte die Kunstkritikerin: Eigentlich sind ja nur Große in der Lage, andere Große übersetzen.
Wieder Stille.
Ich bin 178 cm lang. Aber das sage ich nicht und in der Nacht nach jener Stille am Tisch dachte ich: Muss ich jetzt auf die richtige Größe warten? Nur Welse wachsen ihr ganzes Leben lang.

Bild: Sibylle Ciarloni Screenshot 2023


Das Durcheinander auf dem Tisch

Lenzburg ist der Ort, wo meine Eltern Zugezogene waren, wo ich zur Schule ging, wo ich meinen ersten Kuss erhielt, wo ich weltfremd wurde, wo ich bei den Pfadfinderinnen war, wo ich am Bahnübergang stand und wo wir redeten und redeten. Es war ein besonderer Moment, dort mit Weltatlas. Ein verlorener Gedanke. aufzutreten. Im Stück geht es schließlich auch um Lenzburg.

Die Vorschau erschien in "Lenzburger Bezirksanzeiger" vom 2.3.2017
Text: Stefanie Oßwald
Bild: Bettina Matthiesen

Beitragsbild: Sibylle Ciarloni, Atelier Baden ca. 2015


Weltatlas. Ein verlorener Gedanke.

Es gibt jene Idee, sich vorzustellen, dass die Welt in Ordnung zu bringen sei!

In Weltatlas. Ein verlorener Gedanke wurden solche Vorstellungen von der Autorin Sibylle Ciarloni und der Videokünstlerin Silja Dietiker miteinander vermengt. Der Blick drängt aus dem Chaos an den Horizont. Weltatlas. Ein verlorener Gedanke ist ein gelesenes Stück über das Aufräumen von Dingen die Welt betreffend. Erzählt wird von den Umwegen eines Atlaskindes, vom Verzweifeln des Kartografen und von der Frau, die für die Farben der Zeit zuständig ist. Dazu Ordnungsgeräusche zur Verunsicherung und Zollpapiere zur Identifikation. Eine Zimmerpflanze beschützt die Arbeitsatmosphäre und spendet Natur im Raum. Und dann sind da auch der Himmel und das Meer und die Naht, die die Welt zusammenhält. Durch die Bewegungen der Figuren und das Verschieben von Grenzen und Zeiten gelingen vielleicht trotz allem Annäherungen.

Joshi in Blade Runner 2049: There’s an order to things. That’s what we do here, we keep order. Der Film Blade Runner 2049 kam eine Woche nach der Sendung des Hörstücks in die Kinos. Sibylle Ciarloni: Viele waren die Inspirationen zu diesem Werk. Nach Andreas Anter sei Ordnung das Grundproblem der Politik; ein Artikel über dieses Thema und sein Buch „Die Macht der Ordnung“ haben mich zu dieser Arbeit bewegt. Dazu gesellte sich Heinz von Foerster, der sagte: "Von den Fragen, die wir stellen über die Welt, gibt es solche, die man beantworten kann." Auch die Angst, dass andere mir mein Leben ordnen und sagen, wer ich bin, war ein wichtiger Antrieb. Inspirierend war auch die Zusammenarbeit mit der Videokünstlerin Silja Dietiker. Wir waren in den Jahren 2015 bis 2017 zusammen in Lenzburg/Literaturhaus, Berlin/Bar Babette, Zürich/Rote Fabrik und Manifesta Cabaret Voltaire, Aarau/Freizeitwerkstatt, Bregaglia/Promontogno und in Baden/Royal.

Weltatlas. Ein verlorener Gedanke.
Live Reading (Sibylle Ciarloni) mit Video (Silja Dietiker) und schließlich bearbeitet zu einem 60' Radio Hörstück.

Die Produktion des Hörstücks wurde gefördert von der SRKS - Stiftung für Radio und Kultur Schweiz.

Die Veranstaltungen (2015-2017) wurden von der Stadt Baden und vom Kuratorium des Kantons Aargau unterstützt.

Idee, Text und Töne: Sibylle Ciarloni + Geräte und Dinge
Video und Gestaltung: Silja Dietiker
Koproduzenten: Radio Kanal K, Mr. Bob Production.
Sound Tournee: Matthias Weidmann
Stimmen Radio Hörstück: Alice Sager, Carsten Nemitz, Sibylle Ciarloni, Geräte und Dinge.

Das Hörstück wurde am 27. September 2017 auf Kanal K ausgestrahlt. Danke Rolf Schöner, Programmleiter, für die Einbettung in den K-Punkt.

 

Sehen Sie das Durcheinander auf diesem Tisch?

 

Beitragsbild: Bettina Diel, Zürich Rote Fabrik

Bilder: verschiedene Autorinnen und Autoren

 


Container Radio Essay

Container war ein monatlich produzierter Radio Essay. Sprach- und Soundmix. Ich produzierte jeweils eine einzige Erzählung, die ich aus Erlebtem, Gelesenem und eigenem, assoziativem Denken zusammensetzte. Jeder Essay betrachtete auf persönliche Art und Weise das Geschehen im Moment. Zum Beispiel die Zeit, als meine Tante dement wurde. Ich schenkte ihr eine Erinnerung. Oder als ich einen Winter lang in Berlin war - und was ich dort alles verpasst habe. Ich schenkte mir einen Spaziergang.
Alle Assoziationen und Gedankengänge wurden durch Musik unterbrochen oder von Sounds begleitet.
10 Sendungen im Jahr 2011.

Ausgestrahlt von Kanal K.

Bild: Sibylle Ciarloni.

Beitragsbild = Bild von einem Bild: Sibylle Ciarloni.

 


Life and Death and das Dazwischen

Es gibt viele Möglichkeiten, den Tod zu erlangen. In dieser Zusammenarbeit wurden einige lesend vorgestellt und von der Gitarre metallisiert. Entstanden ist das Hörbuch Todesarten - Stories about Life and Death and das Dazwischen. Ein Text stammt von Djuna Barnes, die anderen von Sibylle Ciarloni. Gelesen von Sibylle Ciarloni, an der Gitarre Ivan Mangia (Bild). Die Tour dieses minimal metal readings im Jahr 2010 führte das Kollektiv u.a. nach Basel, Zürich, Baden, Berlin und Hamburg.

Die CD kann per Mail bestellt werden.

Bild: Corinne Zora Schiess.

Beitragsbild: Sibylle Ciarloni.

 

 


Autostrada Bologna Rimini Nord

Bologna

Trasporti Forlì

MyChef

Koiné

Rossi Moto

In caso di nebbia

Se vedete cosi

Greencar

Barsan Global

Bamaplast

Lea Ceramica & Design

Antuori Rinaldo

Plus Fahrzeug Logistik

Amoni

Forst Spezialbier Merano

Aia Spinacine

Se c’è aia c’è casa

Georg Reischl

Euroteam

Autogrill

Hangartner

Perrier Grande Volume

Atlassib

Schmitz Cargobull

Fercam

Suerkemper

Würth

Centro Sos Beghelli

Bizzarro trasporti

Area parcheggio

Ifac Inox

Schöni regelmässig in Italien

Nuova Padana Mangimi

Tiroltrans

Bologna Modena Nord

Egger

Bonesi Car Col

Bärtschi Dürrenäsch

Polizia Stradale

Modena Fiere

Trasporto animali vivi

Bazzoni Tir

Gst Stadler

Viator & Vektor

Lijubliana

Zingali

Georg Reischl

Consav nur für Lebensmittel

Karassulis Athen

Agip Agridea

Navigare

Eleonora Amadei

Gruppo Fratti

Dea Trans

Varami R.

Speed control

Austria Belgium Italy

Rondine Group

Scania

Spazio Libero

Rucci

Italpizza

Bologna Modena Sud

Grassi Giovanni

Autotrasporti Interni

PT

Best Trasporti Logistica Milano Sassari

Tir Spagna

Paneuropa Trade

Bologna

Ancona Bari Pescara Ravenna Rimini

Gartner KG

Brenta

Rippoz Plymouth

Trami Ascoli-Piceno Italy

Simmy

Lidia  Togni

Amico Blu

Art Content Communication

Longo

Schwarzmüller

Merker

Paoletti

Fercam (Paolo?)

Bartolini Corriere Espresso

Mira

Delacher

Lino Trans

Leclerc

Rimini Nord

 

Bild: Sibylle Ciarloni, Freitag Tasche


Philosoph* für einen Tag

In Italien nimmt man die Dinge con filosofia und meint damit eine gewisse oberflächliche Ironie. Dass aber wirklich über Themen nachgedacht werden kann, bedingt, dass man Zeit dafür bekommt oder sie sich nimmt, und dass Nachdenken wertvoll ist und dass man überhaupt nachdenken kann. Unabhängig von Bildung, Stand und anderen Umständen, kann man auch nicht nachdenken wollen. Aber: Wie wäre es, wenn wir Menschen, die von Tagelohn zu Tagelohn leben, für einen Tag zum Nachdenken anstellen? Das haben zwei Künstler aus Zürich getan.

Die tell-review, das Online Magazin für Literatur und Zeitgenossenschaft, hat meinen Essay "Philosoph für einen Tag" über die Zusammenarbeit von David Siepert und Stefan Baltensperger mit Tagelöhnern in China publiziert. Das Buch mit dem Titel "Invisible Philosophy" erschien im Februar 2017 im Zürcher Amsel Verlag. Sprachen: Handschrift + Mandarin + Englisch. Erhältlich ist das Werk im Buchhandel und direkt bei den Künstlern.

Bild: Sieglinde Geisel


Literatur ist anstrengend

"Literatur ist so anstrengend. Schlimm ist es, wenn die Vorleserin nuschelt. Die Geräusche, die das Umdrehen oder Weglegen der Blätter machen, gehen ja noch. Das kommt oft vor. Ich habe selten gute Stimmen gehört. Nur Schauspieler können richtig gut lesen, wobei man auch da aufpassen muss, dass man alles mitbekommt, wenn sie einen ablenken mit Gesten und hochgezogenen Augenbrauen. Oder mit diesem wissenden Lächeln in den Mundwinkeln, bei dem man nicht weiß, ob es jemandem im Publikum gilt oder ob der Schauspieler schon weiß, wie die Geschichte weitergehen wird. Aber klar weiß er das. Aber wir ja nicht.
Apropos Geschichte. Man muss als Autor doch vor allem eine positive Energie rüberbringen wollen. Schöne Geschichten, die einem auch hätten passieren könnten. Trost vielleicht. Dazu auch lustige Wendungen. Nicht immer so weltschwere Dinge. Das nützt ja doch nichts! Und es geht auch nicht, dass man uns einfach seine Gedanken aufdrängt, wo sind wir denn hier?"
Das Gegenüber lacht gepflegt.
"Letzthin fragte ich eine Schriftstellerin, was sie uns mit dem Text überhaupt sagen will. Sie hat meine Frage nicht beantwortet. Es war ein riesiges Durcheinander hinter ihr auf der Bühne und auch auf dem Tisch, an dem sie saß und las. Man könnte doch vorher sagen, wie das alles gemeint ist, auch das Durcheinander sollte man vorher in Ordnung bringen. Man muss doch als Schriftsteller in der Lage sein, klare Ankündigungen zu machen. Darum waren wohl auch nicht so viele Leute da, vielleicht vierzig? Das ist doch peinlich, finden Sie nicht auch? Finden Sie es nicht auch peinlich, dass zu einer Lesung nur vierzig Menschen kommen, wo es doch wichtig wäre, dass die Leute lesen.
Schön ist aber, wenn man diese Schriftsteller, die da zum Lesen kommen, später vielleicht ansprechen, ja sogar anfassen kann. Manchmal kaufe ich auch ein Buch von ihnen, das sie dann signieren. Es kann ja immer sein, dass sie einmal berühmt werden. Haben Sie das auch schon erlebt? Ich habe vor vielen Jahren einmal diesen, der da im Fernsehen über Bücher spricht, jetzt ist mir der Name entfallen..."
Das Gegenüber nickt wissend, murmelt einen Namen, den ich nicht verstehe.
"Ja, der, genau, jedenfalls ging ich dann zu ihm und kaufte ein Buch und ich habe mir in mein Exemplar von ihm eine Unterschrift geben lassen. Und ich gab ihm dann die Hand und er gab mir seine. Und das war wirklich schön für mich, denn ein Jahr später war er wirklich berühmt."

Mitgehört auf einer Zugfahrt. Sinngemäß wiedergegeben.

Beitragsbild irgendwo geklaut: Sibylle Ciarloni.