Morgen

Notiz

Es ist Sonntagabend. Heute hätte mein Vater Geburtstag gehabt.

Morgen ganz früh gehen wir ans Meer.

Zum Sonnenaufgang.

Die 128 Minuten sind vorbei.

Sind die 128 Minuten vorbei?

Lockerungsübungen.

Normal sein.

Die Masken bleiben.

Sichtbar.


Seaside Soundmap

english below

Greta Thunberg: I don't want your hope. I want you to panic! (Im Film «Das Forum» von Marcus Vetter (2019). Ein Film über die Mächtigen der Weltpolitik am WEF in Davos.) Die Meeresspiegel steigen an. Landkarten werden neu gezeichnet. Die Bedingungen der Menschen am Meer verändern sich. Wie hoch kann das Wasser steigen? 2015 las ich einen Artikel über Tuvalu, wo die Bevölkerung fünf Meter über Meer lebt. Der Inselstaat hat für seine Bewohnerinnen und Bewohner vorsorglich in Australien und Neuseeland um Asyl angefragt. Australien und Neuseeland haben vorsorglich abgelehnt.

Der Meeressaum ist Lebensraum und Übergang, ein Ökoton. Er ist von Bedeutung - sowohl für das Klima als auch für die Fische (die wir einst waren), also für das Atmen und das Kiemen - je nachdem woher man kommt oder wohin man geht auf der persönlichen Evolutionsreise. Die Fische brauchen mehr Raum, jetzt wo all der Plastik auch noch da schwimmt... Viele philosophische Fragen werden zu bearbeiten sein, u.a. ob wir, wenn wir uns in Fische zurückentwickelt haben, einander gegenseitig auffressen, also die grossen fressen die kleinen? Wir werden sehen.

Seaside Soundmap ist eine dichte Ton-Collage, zusammengestellt aus Schönheiten und auch lauten Tönen, die Menschen nahe dem Meer tun oder bauen oder hören. Seaside Soundmap ist aber auch ein Denkraum, um über Veränderungen an den Übergängen nachzudenken. Und schließlich will Seaside Soundmap ein Ruf sein, gerichtet an jene, die die Tatsache, dass der Meeresspiegel ansteigt, leugnen und an jene, die bei vollem Bewusstsein immer gleich weitermachen. In dem Hörstück Seaside Soundmap collagiere ich Momentaufnahmen von Orten nahe einem Meeresufer. Ich hatte verschiedene Kollaborateure und Kollaborateurinnen. Sie haben mir ihre Aufnahmen geschickt, die sie für meine Absicht mit ihren Handys gemacht haben. Ich habe sie meinen Aufnahmen hinzugefügt. Entstanden ist eine 17 Minuten dauernde Sound Collage, getragen von all den Wesen, die an jenen Übergängen waren oder noch sind.

 

english version

"I don’t want your hope. I want you to panic!" - Greta Thunberg, quote from the film “The Forum” by Marcus Vetter (2019). The Forum is a behind-the-scenes documentary about the leading figures of international politics, business, and academia meeting at the World Economic Forum in Davos. Sea levels are rising. Maps are being redrawn. The conditions of people living close to the sea are changing. How high can the water rise? In 2015 I read an article about Tuvalu, where the population lives five meters above sea level. As a precaution, the island nation asked for asylum in Australia and New Zealand for its residents. As a precaution, Australia and New Zealand have declined.

The sea border is a habitat and an important transition area for the climate and for fish (which we were once); and so for gill breathing and lung breathing, depending on where you are coming from or where you are going in your evolutionary journey. As sea levels rise the things that humankind have built at the sea border will sooner or later perish. More space will be needed for all of those living in the sea, due to all the plastic pollution swimming there. Because of this trend, it will become more important to talk about a lot of philosophical questions in the coming decades: Will we eat each other when we have transformed back into fish? Will the bigger ones eat the smaller ones? We will see.

Seaside Soundmap is a dense sound collage composed of silent and loud sounds that people make, build, or hear near this special border along the sea. The collage is a space of discovery and memory, and a place of reflection, to think about changes and transitions. Seaside Soundmap also wants to be a call, directed at those who deny the fact that sea levels are rising and to those who, with full awareness, continue to act with complacency and without any sense of responsibility. In the audio piece Seaside Soundmap I collage snapshots of places near a seashore. I had various collaborators capturing sounds on their cell phones from seashores all over the world, from coastal cities to lonely, wild places near the sea, which I added to my own recordings. The result is a sound experience that lasts 17 minutes, supported by all those beings who were in these ecotones, and all who still are there.

Orte / Places:
Istanbul
Lipari Italia
Marseille France
Neuseeland Westküste
Nizza France
Zadar Kroatien
Senigallia Italia
Raja Ampat Archipel Indonesien
Seychellen
Valencia Spanien
Ponte Sasso Italia
Barcelona Spanien
Salento Italia
Dahab Ägypten
Fano Italia

Mitwirkende/Contributors:
Franziska Weber
Michael Berger
Zoran Zekanovic
Beat Roth
Erich de Boni
Cornelia Faist
Sibylle Ciarloni

 

Listen to Seaside Sound Map on Soundcloud

 

2017 wurde Seaside Sound Map erstmals als digital side event zur Art Basel eine Woche lang veröffentlicht. Bei den beiden Performances mit «Weltatlas. Ein verlorener Gedanke.» in der Roten Fabrik Zürich, war die Seaside Sound Map als Empfangshörraum im Einsatz. Bei der Performance «Alles in Ordnung» mit Installationen im Haus zur Glocke in Steckborn am Bodensee war die Seaside Sound Map eines der Klangobjekte im Raum.

Seaside Sound Map was first published as a digital side event at Art Basel in 2017. Then it was used as a reception listening space in two performances with «Weltatlas. A lost thought.» in Rote Fabrik, Zurich. Seaside Sound Map was then one of the sound installations during the performance of “Everything in order” with Rahel Kraft at Haus zur Glocke in Steckborn on Lake Constance.

Weiterführende Plattformen, Filme und Artikel:
Further platforms, films and articles:

About Venice and the MO.S.E project.
So viel zu Venedig und über das MO.S.E-Projekt.

Cities by the sea such as Miami act independently of the state because they have to be pragmatic.
Städte am Meer wie z.B. Miami handeln unabhängig vom Staat, weil sie pragmatisch sein müssen.

Stewart Brand - think about the long-term. Learn from the maker of the Whole Earth Catalog.
Stewart Brand – about langfristig denken. Vom Macher des Whole Earth Catalogue lernen.

Leonardo DiCaprio in the documentary, “Before the Flood” exhorts politicians to act on climate change.
Leonardo di Caprio – führt im Dokumentarfilm "Before the Flood" Gespräche und ermahnt die Politik.

And again Greenpeace! And Jennifer Morgan.
Immer wieder Greenpeace! und Jennifer Morgan.

Inspirations
Beasts of the Southern Wild - Film by Benh Zeitlin.
Mare - Zeitschrift der Meere, Magazine of the seas (published in Hamburg)
Klimakapseln / Climate capsules exhibition and book - Friedrich von Borries
Chronicles of Time and other works by Giacomo Costa
Almost nothing No. 1, Tagesanbruch an der Küste / daybreak on the coast - 1967 21 min. Audio piece - Luc Ferrari


Reaktionskatastrophe

Essay

Wie geht es Ihnen? Schauen Sie zurück? Warum posten viele Menschen gerade Bilder aus ihrer Kindheit in den sozialen Medien? Was geben sie preis? Wem schenken sie die Bilder von damals? Was zeigen sie? Und was ist das jetzt? Das was hier still, geruchlos, unsichtbar den Menschen den Atem raubt und der Natur das Atmen zurückgibt?

Vor ziemlich genau neun Jahren lernte ich von Baiba Kraniche zu falzen. In ihrer geduldigen und freundlichen Art hat sie neben mir gesessen und gefalzt und gefalzt und ich ihr nach, dann rief ich wieder «halt» und sie hielt inne und zeigte mir wie weit der Vogel in ihrer Hand schon gediehen war und sie schaute auf das was ich in den Händen hielt und sagte vielleicht, hier musst du andersrum falzen, oder das muss genau aufeinander passen, sonst hast du nachher keinen schönen Vogel. Natürlich wollte ich einen schönen Vogel. Viele schöne Vögel. Wir hörten vielleicht Musik, ich weiß es nicht mehr genau. Es waren noch andere da, die auch Kraniche falzten. Sie wurden startklar gemacht für die Luftpost. Und Baiba packte sie alle in Kartonschachteln. Morgen müssen sie los. Sie waren für Japan bestimmt. Dort hatten ein Erdbeben, ein Tsunami und ein leckes Atomkraftwerk eine Katastrophe geboren, eine Reaktorkatastrophe, bei der viele Menschen starben, krank wurden. Und wir alle, bis auf die anderen, dachten damals wieder einmal, dass sich bei den Menschen nun etwas ändern würde, in Bezug auf ein verantwortbares Menschenleben als Teil der Erde. Kraniche sind ein Symbol für Kraft und Glück. Wir falzten Tausende, und beim Falzen beteten wir still für die Natur und die Menschen dort, für jene, die gestorben sind und für die, die noch lebten. Heute können wir die Kraniche für unsere Nächsten falzen. Und für jene, die unsere Nächsten in diesen Tagen und Nächten betreuen. Und für uns selbst.

Ich fand ein stilles, langsames Video von zwei geduldigen, schönen, einen Kranich falzenden Händen (Link zum Tutorial siehe weiter unten). Denken wir beim Falzen wieder daran, dass sich etwas verändern wird. Fragezeichen. Oder sagen wir einfach, die Gesellschaft oder die Welt (was mir nun doch etwas weit gefasst scheint) wird eine andere sein nach Corona. Fragezeichen. Wir sollten formulieren, was wir für unsere Zukunft wollen. Gerade jetzt können wir bei uns selbst anfangen. Und gemeinsam können wir können falzen und beten, schlafen und lesen, einander zuhören und dankbar werden, Listen schreiben und sie wieder verwerfen, still sein, da sein, absichtslos oder auch nicht, einander auf zoom beim dancing with myself zuschauen und dann doch … endlich … nachdenken. Darüber: … und jetzt? 

Wollen wir Aussichten auf solidarische Zusammenlebensformen schaffen, die auch unserer Verletzbarkeit gerecht werden und nicht nur den Leistungen, die wir zu erbringen haben und die wir minutiös kontrollieren (lassen), ob sie denn auch rentieren?! Oder warten wir mal einfach auf die Normalität, die die ersten schon wieder zurückhaben wollen? Was genau wollen wir davon noch haben? Verschwenden wir diese Tage nicht damit, die Zeit totzuschlagen oder die Covid-Toten-Kurven der Länder zu vergleichen. Wir haben anderes zu tun als eine derartige, sinnlose Reaktionskatastrophe zu produzieren. Schaffen wir am Nachher. An guten Aussichten. 

Allerdings dürfen diese guten Aussichten dann nicht von Rating-Agenturen bewertet werden. Auch jetzt versprechen Regierungen Geld oder sie weissagen, der Peak werde nächste Woche erreicht sein, und nach dem Verdikt von Fitch, Moody‘s usw. verändern sich dann die Börsen-Indizes. Es wird an Bewertungssystemen festgehalten, die nicht mehr gelten können. Wir müssen formulieren und wertschätzen, was wir meinen, sei wertvoll. Soll sofort mit der Arbeit und dem Austausch anfangen, wer Zeit hat und nicht mit Krankheit und dem eng gewordenen Alltag hadert. Verwenden wir diese Tage für die Verantwortung, die wir mittragen, wenn wir offenbar gerade doch wieder Wir sagen und es für einmal nicht national oder regional gemeint ist. Es ist Zeit, uns in die Politik der Natur einzuarbeiten, damit wir als Menschheit in ihrer Zukunft vielleicht eine Stimme bekommen. Die Natur ist nicht auf uns angewiesen, wir sind auf sie angewiesen. Das müssen wir doch verstehen!

Ich setze mich jetzt an meine Liste, still und mit guten Gedanken Kraniche für jene falzend, die sie brauchen können in dieser Zeit, neben mir mein Notizbuch... 

There is work to be done! 

Weiterdenken:

Every night in the world

every night in the world

every night in the world

is a night

in a hospital

Robert Lax

Zum Bild: Die gelbe Flagge ist die Qflag. In der Schifffahrt anderer Zeit, kommunizierte sie, dass alle an Bord gesund sind. Speriamo bene!

Saskia Sassen, talking with Srecko Horvat (both member of DiEM25.org, Democracy in Europe Movement):

What if this is the beginning of a possibility?

DiEM25 TV – people thinking about the time after the virus.

Auch andere Talks auf Youtube im Diem25 Channel sind interessant, bspw. das Gespräch zwischen Brian Eno und Yanis Varoufakis oder zwischen Astra Taylor (What is democracy?) und David Alder. DiEM bedeutet Democracy in Europe Movement und wurde 2016 in Berlin an der Volksbühne gegründet.

Zum Tutorial: It’s easy, origami cranes, concentrate on this!

Mehr Hintergrund: How Paper Cranes Became a Symbol.

Die Zukunft denken beginnt jetzt. Oder? Matthias Horx - Ein interessanter point de vue: Die Zukunft nach Corona.

Noch mehr nachdenken mit Julio Vincent Gambuto: Prepare for The Ultimate Gaslighting. @forge.medium

Mein Freund Stefan Hunziker hat auf Campax Make Change happen die Kampagne Kehrt verwandelt in den Alltag zurück! gestartet. Ich habe sie mit-unterzeichnet.

 


Era.Ora.

Arbeitsnotiz

Matteo Attruia ist der Autor dieses Werkes. Era ora bedeutet: Es war Zeit! Era bedeutet auch: Ära. Ora bedeutet auch: Bete!

 

 


Lautes Zählen

Essay

Überlegungen zu Evolution, Hingabe, Zuhören, Anpassungen und neuen Wesen.

Letztes Jahr im Herbst dachte ich, ich müsste nichts mehr schreiben und was ich sagen kann, hätte ich schon gesagt. Zugegeben, das wäre dann noch nicht viel. Aber die notierten Reflektionen schleichen sich aus meinem Fundus, den ich nach und nach unordentlich in meinem Gedächtnisschrank und in mehreren komplexen Ablagesystemen oder digital ergänze. Und auch zugegeben, ich bin eigentlich bloß schreibfaul geworden im letzten heißen Sommer, an den ich mich und meine Vorhaben allesamt hingegeben hatte. Einzig in der Obhut lauschiger Schattenstellen und in der Nacht entstanden Zusammenhänge, konnte man einander zuhören, etwas denken, lesen vielleicht, schreiben. Tagsüber war nur ein Minimum an Arbeit möglich. 

Als ich vor mehr als zehn Jahren «Die Geschichte vom Ohr» schrieb, da war ich mir eines gewöhnlichen Morgens sicher, dass die Fähigkeit zuzuhören, sich nach anderen Existenzmöglichkeiten umschaut und die beiden überflüssigen Organe am Menschenkopf sich früher oder später von selbst abbauten und in Einzelteile auflösten. Viele lachten über die Vorstellung, dass die von der Haut getrennten Ohrknorpel sich auf der Mülldeponie paarten und daraus neue Wesen entstanden. 

Es war ja bloß eine kleine Evolutionshochrechnung, aber ich fand sie ganz passend und meine nach wie vor, dass viel mehr geredet als zugehört wird und dass man in der Erwachsenenbildung Kurse im Zuhören einführen sollte. Jetzt, wo das Insichkehren, vor allem aber zunächst das Zuhausebleiben, Pflicht wird, jetzt wird vielleicht ein Bedürfnis dafür geweckt.

Vor ein paar Monaten war das Covid-Pandemie-Virus erst in China und zunächst wusste wohl niemand in Europa, Afrika, den beiden Amerikas und vielen anderen Regionen dieser Welt davon. Anfangs Dezember saß ich im Zug nach Wien. Es lag Schnee in den Bergen hinter Bozen. Ich las vom Virus und im Artikel eine Spalte weiter, las ich dann lieber über diesen Forscher, der die Hirnströme in Zeiten digitaler Informationslawinen und permanenter freiwilliger Aufmerksamkeitshingabe an Bildschirme wie denjenigen der smartphones, laptops und Co. misst und in der Zwischenzeit festgestellt hat, dass die Aufmerksamkeitsspanne des Menschen um ein Vieles abgenommen hat, sich das Hirn bereits den neuen Gewohnheiten anpasst und diese Anpassung sich in die Erbinformation des Menschen schreibt. Ich rechne also hoch und denke: So brauchen wir keinen individuellen Weg mehr, auf dem wir uns hin und wieder für unser Selbstbezogensein entschuldigen. Wir essen, was man uns gibt. Wir säen Samen-Hybriden, aus denen unfruchtbare Einwegpflanzen wachsen. Wir folgen dem Algorithmus, der uns individuell auf uns zugeschnittenen Produkte vorschlägt. Wir glauben ihm und wählen frei. Wir leben in TV-Serien das stereotype Leben von Anderen und lenken uns jederzeit mit einem Spiel auf dem Handy ab, so lange bis wir alles gespielt und alles gelebt haben, was uns persönlich nichts angeht. 

Jetzt ist Pandemie mit einem neuen Epizentrum in Europa. Und natürlich will ich glauben, dass das auch eine Chance ist. Vielleicht sollten wir uns jetzt, wo die Beschäftigung schwindet, freiwillig an diese neue Situation anpassen, zuhause bleiben, miteinander telefonieren, zuhören und nicht einfach die Länge einer Pendlerstrecke im Zug einander durchs Handy zuschnaufen und ab und zu fragen: Bist du noch da? Oder doch, vielleicht auch das... aber nicht im Zug bitte und später, nach der Pandemie, bitte auch nicht im Zug... Ja, nach der Pandemie. Ich will glauben, dass die Frage: „Wie wollen wie leben?“ in drei Monaten anders beantwortet wird als noch vor drei Wochen. Wir müssen näher zueinander rücken mit aller derzeit geforderten Distanz. Ich will hoffen, dass Menschen, die es schwer haben in ihren Familien oder in der Gemeinschaft, in der sie leben, die Auszeit zur Klärung von Konflikten nutzen. Ich denke auch an jene, die alleine leben und das nicht wollen. Ich hoffe für alle, dass die geforderte Nähe mit Distanz, auch zu sich selbst, nicht zum Alptraum wird.

Dobbiamo essere forti!

Hier in Italien gewöhnt man sich langsam an die Vorschriften. Wir müssen, wenn wir uns von Wohnung oder Haus wegbewegen, ein Formular mit uns tragen, mit dem wir deklarieren, wohin wir gehen und warum. Die beigefügte Multiple Choice Liste, was Grund genug ist, ist kurz. Von Multiple und auch von Choice, kann also keine Rede sein. Die Anpassungen sind groß. Denunzianten und Schlaumeier sind auch schon aktiv. Aber ich träume davon, dass das "Wir" in den nächsten Wochen eine verbindende und verbindliche, gleichzeitig eine tolerante und großzügige Bedeutung bekommt, die sich ebenfalls in die Erbinformation der Menschen schreibt. Dass die Abkehr von Hamsterrad und Hamsterkauf eintritt. Dass Ellenbogengeschichten bedeutungslos werden. Denn unsere Ellenbogen brauchen wir jetzt für anderes. Die schon erwähnte Forschung über die hirn-verändernde Aufmerksamkeit, die an die Geräte geht, beweist, dass die Anpassung des Gehirns in Richtung friedlichere Welt durchaus möglich ist.

Ellenbogen werden im Schweizer Sprachgebrauch an Stellen eingesetzt, wo es darum geht, Konkurrenten loszuwerden, indem man sie wegkickt. Man elleböglet dann sozusagen. 

Bauen wir nun zunächst keinen Unfall und regen wir uns nicht auf, denn alle Spitalbetten werden gebraucht für die, die erkrankt sind. Keine Gefährdung, kein gestauchter Fuß, kein Sturz von der Bicicletta, kein freies Niesen, keine Umarmungen. Das ist, was man vor allem hören muss in jenem lauten Zählen der Liveticker über die Anzahl der Infizierten, Verstorbenen, Geheilten. Auch dass in Italien ein Ärzteteam aus China eingetroffen ist, das sein Wissen weitergibt. Auch dass in ebendiesem China die Fälle nun massiv zurückgegangen sind, wie in Codogno auch, wo schon seit Ende Februar für den ganzen Ort die Quarantäne galt. 

Bleiben wir zuhause. Es dauert vielleicht drei, vier Tage, dann gewöhnt man sich dran. Widmen wir uns der Philosophie, der Schönheit, den wichtigen Dingen oder immerhin den nächsten. Heute, morgen. Heute, morgen. Heute, morgen. Geduld. Pazienza. Und wer keine hat: Laufen an Ort geht auch, dann sind der Schrittzähler am Handy und die angedockte Krankenversicherung (pardon, in der Schweiz Gesundheitskasse!) auch zufrieden.

... Wie lange es noch dauert, bis Menschen ohne Ohren auf die Welt kommen und die Wesen, die der Paarung von Restknorpeln entspringen, sich dank guter Nahrung auch vergrößern und vielleicht ein Hirn entwickeln, weiß niemand. In «Die Geschichte vom Ohr» prophezeite ich das erneute Anwachsen vom Ohr an den Menschenkopf. Manchmal macht die Evolution eben einen Umweg.


Kuchenmännchen und Hummermenschen

Rezension

«Bernstein und Valencia» in KUNO Kulturnotizen zu Kunst, Musik und Poesie.

In seinem Rezensionsessay werden meine Erzählungen auf eine Art gewürdigt, wie ich es mir nicht besser hätte wünschen können. Danke, Holger Benkel! Durch sein Reflektieren lerne ich mehr über meine Intuition, als ich mir je hätte anlesen können. Und ich bin stolz darauf und bedanke mich mit einer tiefen Verbeugung beim Online Magazin Kulturnotizen KUNO und seinem Herausgeber Matthias Hagedorn sowie bei Holger Benkel für sein sorgfältiges Lesen und sein Versuch, mir auch ein Bisschen (.) auf die Schliche zu kommen.

Das Buch «Bernstein und Valencia» kann im deutschsprachigen Buchhandel, beim Knapp Verlag in der Schweiz, via Amazon oder per Mail direkt im Büro der Autorin bestellt werden.


Zona Rossa

Notiz

Es ist Sonntag. Achter März.

Kaum ein Auto auf der Autostrada.

Das Meer liegt ruhig da.

Die Nachricht kommt per WhatsApp und von La Repubblica.

Es ist, wie in einem schlimmen amerikanischen Katastrophenfilm zu sitzen und zu warten bis die 128 Minuten vorbei sind.

Outbreak.

Lockdown.

Zona Rossa.

 


Monsun

Erinnerung

Ich weiß nicht mehr warum, aber ich dachte dann ein bisschen an Spanien...  Aber zuerst war da die Hochnebeldecke, dann der Regen, dann Schnee, Regen, dann wieder die Hochnebeldecke, wieder der Regen. Er treibt Menschen zusammen, setzt sie triefend nebeneinander in Trams, in Zügen, Bussen. Sie schauen geplagt durch die nassen Fenster nach draußen, lassen ihre Blicke über die anderen gleiten, suchen Schutz. Oder ein bisschen Harmonie. Geht es Ihnen auch so? fragte also ein Mann neben mir. Ich schaute ihn an und da stand wohl ein Fragezeichen in meinem Gesicht. Er meine das Wetter. Monsun. Sagte er. Ohne sich zu bewegen, zeichnete er mit seinen Augen einen Pfeil nach draussen. Ich nickte. Es hört nicht auf. Heute regnet es nur einmal. Ja. Ja. Wieder stiegen Menschen zu, andere aus. Als ich klein war, da gab es noch Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Sagte er. Bei mir auch. Dann sagte ich, vielleicht würden wir nur glauben wollen, dass die Jahreszeiten so klar unterscheidbar waren. Ich bekam Kopfschütteln von zwei anderen. Der Mann sagte: Aber so ist es! Bei ihm sei das so gewesen, denn er habe im Winter jeden Tag nach der Schule mit den Skiern in die Berge fahren können! Ja, ja, nach der Schule. Irgendwo bei Bern, hinter Bern. Interlaken, fragte ich. Er erzählte dann auch vom Schlitteln, sogar auf die Besen seien sie gesessen und die Straßen hinunter gerattert, auf denen keine Autos fuhren, jedenfalls nicht so viele damals. Aber heute habe er Geburtstag und er gehe jetzt in ein Café und lasse es sich gut gehen, ich sage, aha, ein Wassermann, wie ich. Eigentlich sei er ein Steinbock. Er fühle sich jedenfalls nicht als Wassermann. Er sei knapp noch nicht Wassermann. Jawoll. Weg war er und ich weiß nicht mehr warum, aber ich dachte dann ein bisschen an Spanien und an Jean-Paul Belmondo, der überhaupt nicht so groß war wie man immer meint und ich bin niemals so klein wie auf dem Bild, wo wir zusammen Flamenco tanzen.