Das ist ein Bericht, nein, ein Plädoyer, nein, ein schriftliches Nachdenken über was Kunst in meinem Dasein bedeutet und sein kann.
Kunst ist ein weites Feld, weiter als das von Theodor Fontane in Effi Briest, und auch weiter als das von Agnes Denes in Manhattan. Mit meiner Praxis habe ich mich in der Kunst zu orientieren versucht, auch zu spielen, zu kreieren, zu behaupten ganz oft und zu fragen, letztlich: Ich habe den Dialog gesucht und suche ihn nach wie vor. Nicht einen perfekten, nicht einen falschen. Ich suche das kooperative Nachdenken und das Lernen aus anderen Perspektiven, von anderen Ideen. Der Dialog ist immer unfertig, geht deshalb immer weiter, wartet vielleicht, verändert sich und lebt also – auch in der Erinnerung. Er kann sich zu einem ewigen Werk entwickeln, aber auch zu einem demokratischen Werk, für dessen Evolution wir Menschen uns zuständiger fühlen könnten, da sie immer noch eine der besten Formen für das relativ freie Zusammenleben von Menschen ist. Das chaotische Treiben von Gedanken, die ausgesprochen und im Idealfall gemeinsam in einen Zusammenhang gebracht werden, ist auszuhalten. Denn das Problem ist nicht dieses Gebaren, sondern dass Menschen Ordnung wollen. Also fangen sie an, Ordnung zu machen und argumentieren selbige mit Harmonie und Natur. Und das ist gefährlich. Denn um es mit Donna Haraway zu sagen: Wir müssen lernen, to stay with the trouble.
Ich habe viel über soziale Kunst nachgedacht. Über Gemeinschaftsbildung und Sorgfalt/Fürsorge wird da gesprochen, aber die Reflexionen daraus wirken sich kaum aus oder sie sind mir nicht bekannt. Das vermisse ich. Die Kunstwelt wurde in Wellen von dieser Art von Kunst erfasst. Die Werke und Dialoge, die entstanden, sind von grundlegender Bedeutung. Sie sind noch heute Beispiele. Wenn es darum geht, eine Nähe zu Menschen zu schaffen, die nicht unbedingt liberale oder progressive Ansichten über das Soziale teilen, und auch bereit sind, mit einigen radikalen Ansichten zu vermitteln, können wir da hinschauen, Beispiele anschauen. Könnten wir. Heute aber steht Abgrenzung in den Diskursen und den politischen Lösungsvorschlägen stärker im Vordergrund als die Vermittlung. Es scheint einfacher zu sein, diejenigen auszuschließen oder zu streichen, mit denen man nicht die gleichen Ansichten teilt, als zu versuchen, die Art der Handlungsfähigkeit zu analysieren und auszulosten, die wir haben, wenn wir alle einbeziehen – auch diejenigen mit radikalen Ansichten.
Als Autorin beschriebenes Papier zu produzieren reicht mir nicht. Mit einer Idee im Kopf, die in den beiden Jahren Weiterbildung in curatorial studies in Modena (2022/2023) gewachsen ist, begann ich also genauer zu recherchieren, wie ich mein Schaffen nun weiterentwickeln könnte, um sinnvoll und ökologisch sorgfältig zu agieren. Natürlicherweise treibt mich aber meine Praxis als Autorin immer wieder in die Arme von Büchern. Ich wähle also verschiedene Werke, um mich weiter einzuarbeiten und gleichzeitig meine Idee zu entwickeln. Das Aargauer Kuratorium unterstützte meine Recherche mit einem einmaligen Beitrag von 4‘000 Franken. Dafür war und bin ich sehr dankbar!
Die Idee
Ich plane eine transdisziplinäre Arbeitsgruppe. Sie arbeitet an der Kernfrage, wie wir Menschen von der Gesellschaft der Pflanzen lernen können. Können wir die Fähigkeiten der Pflanzen verstehen und umwandeln, um an unserer Zukunft teilzunehmen? Die Arbeit zielt darauf ab, in San Costanzo (Italien) Situationen zu schaffen, in denen Menschen durch Zuhören, Lernen und Dialog kooperativ denken und handeln. Menschen mit verschiedenen Lebenssituationen und Voraussetzungen, zusammen mit drei Kunstschaffenden, die in verschiedenen Bereichen der partizipativen Kunst tätig sind, sollen im September 2025 zum ersten von drei Treffen anreisen.
Mit den Reflexionen auf die Kernfrage sollen praktikable Beispiele (good practices in Buchform und als Web Content) für die menschliche Gesellschaft gefunden und erfunden werden. Alle Teilnehmenden werden zu aktiven Mitarbeitenden des Projekts: Künstler:innen, Gastgebende, Einwohner:innen, Vereine, ich als Kuratorin und die Expert:innen aus Agronomie, Landwirtschaft, Administration beispielsweise.
Die Bücher
Autorinnen und Autoren, die mir auf meine Fragen Antworten gaben und deren Bücher ich dank des Recherchebeitrages in Ruhe lesen und studieren konnte, sind Claire Bishop (Artificial Hells, Participation), Pablo Helguera (Arte socialmente impegnata), Stefanie Heraeus (Wörter, Sprache, Gespräche ausstellen), Bonaventure Soh Bejeng Ndikung (Pidginization as Curatorial Method – Messing with Languages and Praxes of Curating) und Fiona Geuß (Das dialogische Kunstwerk). Fiona Geuß untersucht Gesprächsformate in kollektiven Kunstpraktiken. Ihr Buch hat mir einen weiten Blick in die Geschichte dieser Art von Konzeptkunst geschenkt und mir vergegenwärtigt, wie ich selbst mich in diese Richtung als Kuratorin entwickeln kann. Dank Pablo Helguera beachte ich die Sensibilitäten, die man im Prozess immer wieder verhandeln muss, wenn Menschen in ein künstlerisches Projekt integriert werden. Auch dass sie in einer Dokumentation unbedingt zu Wort kommen müssen und zwar mit eigenen Formulierungen, da sie ja die Angesprochenen waren bzw. sind. Die große Kritik und die Aufsatzsammlung von Claire Bishop haben mir bewusst gemacht, wie subtil die Grenzen der Inklusion wirken und auch wie andere Autorinnen und Autoren über diese Art von Kunst nachdenken. Dank Stefanie Heraeus‘ Buch habe ich Anhaltspunkte und Ideen für das Sichtbarmachen von Dialogen gewonnen, was auch eines meiner Anliegen meiner Idee (siehe oben) ist. Zusammen mit Bonaventure Ndikung habe ich mein Ohr geschärft für die ungeschriebene Sprache und deren freie Mischungen aus kolonialisierter und „ursprünglicher“ Sprache, die kooperatives Denken zwischen Menschen mit verschiedenen Erstsprachen entlasten und erleichtern können.
Kooperativ denken
Im Rahmen meiner Recherche besuchte ich eine zweitägige Tagung in Macerata „How to restore public space“. Es ging um die Wiederverwendung des öffentlichen Raums nach einem Krieg. Durch das Programm führte Roberta Biagiarelli, Autorin und Macherin eines einzigartigen Dokumentarstücks über Zrebrenica, koproduziert von der Rai, mit den Werkzeugen Erzählung, Interview, Archivfilm und neues Filmmaterial. Eingeladen waren u.a. Claudia Zini von KUMA International in Sarajevo, die seit 2018 an der Verbindungslinie arbeitet, wie zeitgenössische Kunst sich mit den Erinnerungen an den Krieg beschäftigen kann. Eingeladen war auch die Journalistin Azra Nuhefendic, die sagte: Kriege geschehen nicht. Kriege werden vorbereitet. Ich frage also: Kann der Dialog als Kunstwerk Kriege verhindern? Im Gespräch mit Teilnehmenden war für mich vor allem spürbar, dass die einzige Alternative das mehr oder minder starke Ringen um Möglichkeiten zum Dialog ist. Sobald sie nicht mehr geschaffen werden können, sei dies durch gezieltes Storytelling, Resignation und Repressalien, wird friedliches Nebeneinander (manchmal ja auch Miteinander) wacklig. Wenn Kriege vorbereitet werden können, können auch Dialoge vorbereitet werden. Kunstschaffende können hier dank der eigenen Erfahrung mitarbeiten, müssen sie doch immer wieder den Austausch suchen, ihre Kräfte gut einsetzen und kooperativ denken, damit aus dem Vorhaben etwas wird.
Ein paar Jahre
Ich nahm auch an einer Serie von Lectures von Adrian Melis am berlin art institute teil. Adrian Melis arbeitet als Künstler derzeit in Buenos Aires. Er war mit dank einer Reihe von partizipativen Kunstwerken aufgefallen. Melis zeigte uns viele Arbeiten von anderen Kunstschaffenden und stellte u.a. die Fragen, wie weit diese gehen können. Dann
berichtete er auch aus seiner eigenen Praxis und dem Umstand, dass man site specific mit einer dort lebenden Gemeinschaft wohl arbeiten kann, aber um etwas von ihr zu wissen oder mindestens zu erfahren, braucht es aus seiner Sicht eine Verlegung des Wohnsitzes und ein paar Jahre Zeit.
Die Geschichte
der sozial engagierten, partizipativen Kunst beginnt in den späten Sechziger Jahren. Es kann unterschieden werden zwischen einer politischen Kunst, die sich mit gesellschaftlichen Inhalten auseinandersetzt und mit aktivistischer Kunst, die in gesellschaftliche Belange eingreift. Bei beiden Zweigen geht es um das Provozieren von Teilnahme, von Dialog, von einer Aufforderung, nicht neutral zu bleiben, um bloß als Betrachter:in oder Käufer:in Teil einer Produktionskette zu werden. Zusammengefasst: Hinwendung zum Thema und Abwendung vom Objekt, ist die wohl zutreffendste Beschreibung der Bewegung in der Kunst zu jener Zeit, die bis heute andauert und jetzt sehr wahrscheinlich wieder wichtiger wird, da sich die Zivilgesellschaft in vielen Regionen überlegen muss, wie sie undemokratischen und kriegslustigen Regierungen und deren Followers begegnen will. Kunstschaffende (bewusstes Plural) können in diesem Bereich inspirierend, verbindend und kooperativ wirken.
Vielen Dank dem Aargauer Kuratorium für die wertvolle Unterstützung. Sie hat mir Zeit geschenkt und mich gleichzeitig motiviert!