Essay

Von den Dingen, die wir neben allem auch noch tun müssen und vom Öffnen der quietschenden Türen zur Zukunft. Ein Essay über Lesen und Denken mit Donna Haraway.

Wohin geht die Welt, wenn sie untergeht? Wie wird es sein, wenn Wale über die Alpen schwimmen? Die Fragen lassen keine Idee von Wirklichkeit zu, und doch werden sie so oder anders schon besprochen, also sind die Vorstellungen in der Welt. Es sind Extrapolationen, what ifs, und dazu gesellt sich dann die Idee von Elon Musk, einen neuen Planeten zu bevölkern und die Geschichte hinter sich zu lassen. Es ist nachts um halbelf. Eine Freundin schickt mir ein Bild vom Utopiaweg-Straßenschild am Rand von Wien. Ich bin hier an der Adria und versuche über jenes Denken zu schreiben, das Haraway in ihrem Scharniersatz im Titel meint.

Wovon können wir ausgehen? Ich denke, dass das Wesenhafte Natur ist und ergo Leben bedeutet. Dass Zukunft gerade stattfindet, denn wir bespielen sozusagen immer jenen Raum, in welchem wir Zukunft sehen, mal mehr, mal weniger. Es gibt also keine Parallelwelt weiter vorne im Kalender oder in einer anderen Galaxie für die Lebewesen der Erde. Lebewesen nennt Haraway Kritter. Und ob wir das Kommende Chthuluzän oder Plantozän oder Metaverse nennen ist eigentlich egal. Und dass man sich beim Lesen von Donna Haraways Texten auch mal fragt: Was war das soeben? Oder: Hääää? ist total normal. Denn dieses Buch ist anstrengend und wild.

An dem Tag als Vivienne Westwood starb, bin ich mit dem zweiten Kapitel in «Unruhig bleiben» fertig geworden. Bevor ich von der Connection zu Westwood erzähle, will ich noch einmal den Scharniersatz im Titel wiederholen. Denken müssen wir. Wir müssen denken. Scharniersatz nenne ich ihn, weil er in meiner Vorstellung wie eine Tür funktioniert, eine quietschende Tür, die einen Raum öffnet, der vollgestellt ist mit Sorgen und Versprechungen und Dingen, die wir – neben allem anderen – auch noch tun müssen. Die Zukunft. Was als Aufruf daherkommt, bedeutet aber nicht, dass wir die Dinge ordnen, die dort hineingestellt wurden, oder gar sie analysieren sollen. Es geht Haraway nicht um Aussöhnung und Restaurierung . Es geht ihr um Erholung und Weitermachen. Gemeinsam weitermachen. Als Basis formuliert sie Kollaboration und das gemeinsame, im besten Fall arten-übergreifende Denken.
Haraway schafft mit diesem Satz eine reale, schon in einer Praxis verwurzelte Grundlage. Ich mag den Satz auch, weil er so lässig dort steht, wie ein Webe-Slogan drängt er sich via lesendes Auge ins Gehirn. Wem sagt sie das? Allen, die schon nachdenken, jenen, die noch alleine denken?

Das Kollektiv und das Wir ist schwieriger als das Ich. Geschichtsphilosophisch gesehen ist das Wir deshalb problematisch, weil es hier dem Verdacht von Gleichschaltung etwas entgegensetzen muss. Das tut der Text von Haraway indem er que(e)r schaut und verbindet, was auf den ersten Blick eher nicht miteinander verbunden werden kann.

In einer meiner neuen Schreibgruppen frage ich: Hat jemand von euch schon einmal in einem Kollektiv geschrieben? Wir diskutieren, flanieren. Was wissen wir gemeinsam, was können wir teilen? Oder müssen wir erst lernen, wie wir von was reden können? Ein Post-it panel ist eröffnet worden. Fürs Erste schalten wir Leselisten auf und legen Spuren zu unseren Gedanken, Recherchen und Arbeiten. Ich hoffe auf ein neues Geflecht, das vielleicht eines Tages tragend sein wird, um gemeinsam weiter zu denken. Das Entwickeln von tragenden Strukturen in Zusammenarbeit mit anderen ist das was Bäume in einem Wald stetig untertags weiterflechten und was ihnen zur Verständigung dient. Menschen können lernen von ihnen.

Wenn ich einem Gegenüber erzählen will, worüber Haraway schreibt, so kann ich vielleicht sagen, dass es die Themen der Gegenwart sind, mit denen sie nicht fertig werden will. Sie verknotet sie, macht Fadenspiele mit der Umwelt, den Wesen, den Erinnerungen und erzählt die Vorstellung eines vermeintlich absehbaren Endes menschlichen Lebens auf dem Planeten Erde neu als lebenswertes Leben in einer für alle Arten lebenswerten Zukunft. Fröhlich trampt die Autorin aus menschgemachten Grenzziehungen heraus, um alles in Zusammenhängen zu erzählen, ohne die Geschichte des Menschen im Mittelpunkt zu behaupten, sondern vielmehr jene Bewegungen anzuschauen, die Abhängigkeiten schaffen oder geschaffen haben und jene, die Anpassungen fordern.

Lebewesen haben die Eigenschaft, eines Tages zu sterben. Haraway spricht oft von beiden Zuständen, nicht als gegenteilige, sondern als sich inkludierend und inspirierend; voraussetzend, dass Menschen leben wollen. Was wäre, wenn Menschen gar nicht mehr leben wollten? Ist das Destruktogen stärker geworden als der Lebenswille?
In vielen Abschnitten bespricht Haraway Beispiele gemeinsamen Denkens, auch inter-spezies-trans Denken. Man trifft auf Verwandte, wo man gar nicht damit gerechnet hat, dass jene Wesen mit einem selbst verwandt sein und auch nicht, dass sie denken können. Aber sie tun es anguillisch, arborial, fungisch, floral, säugerisch, quallisch, samisch, tentakulär .
Gerade spielt sich auch eine neue Art von Wesen auf die Liste. Die künstliche Intelligenz. Sie stirbt nicht, ist sie demnach kein Lebewesen? Wie können wir überhaupt über sie nachdenken?
Diese neue Dringlichkeit droht uns abzulenken von der Existenz der lebenden Körper und was wir mit ihnen tun in Zukunft. Noch einmal: Gehen wir also davon aus, dass Denken neben dem menschlichen auch anguillisch, arborial, fungisch, floral, säugerisch, quallisch, samisch, tentakulär und meinetwegen auch algorithmisch vorkommt. Und stellen wir uns vor, eine Konversation mit allen Ausdrucksformen möglich wird oder es schon ist. Das menschliche Ich könnte dann also nicht mehr alleine denken (müssen). Beruhigend oder auch nicht, aber die Idee vom Individuum, dessen Werden und Sein, dessen Entfaltung und Ankommen, lange Zeit im Mittelpunkt unserer Vorstellung vom richtigen Leben und vom in der Welt sein überhaupt stand, wäre nicht mehr zentral – oder war es noch nie. Jedes einzelne Lebewesen ist verloren, wenn es alleine denkt.
Das ist nicht spektakulär. Wie dass am Anfang der Beutel war und nicht der Faustkeil. Und auch wenn die Unterhaltungsindustrie Heldengeschichten schreibt und manche sich mit ihnen zu identifizieren versuchen, wichtige Mitwirkende ausschließend, sind die Perspektiven von Pflanze, Tier, Luft, Feuer, Wasser, Boden oder Samen und meinetwegen auch von Maschine immer Teil unserer Erzählung. Und sie sind nicht abhängig von Menschen, sondern die Menschen von ihnen. Das ist nicht zu ändern und so weit undefiniert ist der Raum zur Zukunft zu öffnen, auch wenn uns unheimlich wird, die Türen quietschen und nie mehr zugemacht werden können.

In Heaven and Hell schreibt Aldous Huxley Mitte der Fünfziger Jahre im Rausch: „Wir müssen lernen, Worte wirksam zu gebrauchen; aber gleichzeitig müssen wir unsere Fähigkeit bewahren und, wenn nötig, verstärken, die Welt direkt zu betrachten und nicht durch das halb undurchsichtige Medium der Begriffe, das jede gegebene Tatsache in das allzu vertraute Abbild einer allgemeinen Bezeichnung oder erklärenden Abstraktion verzerrt.“ In den Fünfzigerjahren war die Welt auf dem Weg zu derjenigen, wie wir sie jetzt zu kennen meinen. Huxley ging von der menschlichen Sprache aus. Wie sollen wir uns nun verhalten, wenn die menschliche Sprache zu kompliziert geworden ist, zu begrifflich, um zu denken, um gemeinsam zu denken und von anderen Lebewesen zu lernen? Wie können wir uns verbinden mit Pflanze, Mensch, Tier, Maschine meinetwegen, mit Luft, Feuer, Wasser, Boden oder Samen?

„In der alltäglichen Gedankenlosigkeit ist die Welt unwichtig.“ D.H.

Vivienne Westwood schaute im Jahr 2000 in Luzern anlässlich der Gwand auf dem Podium eines elfenbein-rot-goldenen Hotelsaals auf die Menschen hinunter und fragte: Lest ihr? Ich saß auch da, hatte einen Bericht zu schreiben. Wow, dachte ich und hätte gerne brav gerufen, ja, ich, ich lese! Aber die Frage war rhetorisch gemeint. Westwood wartete nicht auf eine Antwort und sagte: Ihr müsst lesen, um denken zu können! Die Designerin hielt einen kurzen Monolog. Danach kamen keine Fragen mehr aus dem Publikum. Als sie starb, da dachte ich daran, wie sie da oben saß, fast feindlich auf die Leute geschaut hatte, wie wir alle still und stumm geblieben waren. Die Designerin, die nicht gefallen wollte, gefiel mir. Ich fühlte mich aufgehoben in ihrem Rufen, dass wir lesen müssen, um denken zu können. Oft zitierte ich sie, wenn ich mit anderen Lesenden zusammentraf, um über Texte und deren Wirkung nachzudenken. Westwood hat wie Haraway mit den gegenwärtigen Systemen und Establishments zusammengearbeitet, um sie gleichzeitig zu kritisieren. Dass beide in vielen Teilen der Welt auf ihre Message aufmerksam machen konnten, lässt mich hoffend als Teil von Etwas zu sehen und mich nicht zeitweise selbst als Alien wahrzunehmen.

Haraway zu lesen oder ihr in einem der zahlreichen auf youtube veröffentlichen Vorträge zuzuhören, bedeutet, sein Bewusstsein einer Spülung und sein Gedankengut einer Auslüftung zu unterziehen. Manche Abschnitte muss ich zweimal lesen, um etwas zu verstehen. Ich verstehe Haraway so, dass Wachsein und gewollte Offenheit, uns richtig schön unruhig werden lassen. Wir müssen mit dem nach Aufmerksamkeit heischenden Durcheinander, das uns umgibt, umgehen. Das ist mehr Welt als die Ordnungen nach Frontex, Putin, den Brüdern Italiens, den Sittenwächtern im Iran und den Hybridsamen von ChemChina und Syngenta und wie sie alle heißen.

Nur dank fortwährend bewusster, gemeinsamer Versuche, responsabel nebeneinander und miteinander leben und sterben können, ist Erholen und Weitermachen für Menschen möglich. Schön wäre, wenn alle Wesen dieser Erde gemeinsam nach Wegen suchten, die Umwelt zu heilen und die Umstände lebenswert weiter zu entwickeln. Ich glaube, Welt kann nur in gemeinsamen Wegen gedacht werden. Lösungen sind für Rätsel gut.

„Es ist von Gewicht, welche Gedanken Gedanken denken. Wir müssen denken.“ D.H.

Als Kernbegriff, um welchen herum Haraway ihre Gedanken organisiert, nutzt Haraway die Verantwortung, responsability. Response = Antwort, able = ability, fähig sein. Ich übersetze. Fähig sein, eine Antwort zu geben oder auch zu sagen, dass man keine hat. Fähig sein, die Dinge bewusster zu tun und sie auch zu verantworten. Das ist schon viel und noch nicht alles. Die Dinge, die die Welt und die Lebewesen betreffen, miteinander bewusster zu verantworten, kann nur bedeuten, in Konversation zu gehen. Und Konversation bedeutet Zuhören, Nachdenken und Fragen. Das ist die Basis für Menschen, um voneinander zu lernen.
Jetzt ist aber, wo die Türen zur Welt im länglichen Bildschirm, der in unserer Hand liegt, aufgehen, Konversation zwischen Menschen ein schwieriges Unterfangen, wie schon sich auf die Sprache zu einigen. Welche Sprache verwenden wir also? Könnten wir Pidgin miteinander sprechen? Können wir uns wenigstens darauf einigen, eine Sprache nicht mehr perfekt sprechen zu müssen – oder sind wir uns darin schon einig? Im Auto von Lundäng nach Lidköping sprachen wir – nachdem wir einen Elch in den Ähren gesehen hatten, was sich als einfache Täuschung einer diesbezüglich leicht zu beeindruckenden Südeuropäerin erwies, aber das fotografierte Geweih war nicht des Elchs, sondern dasjenige eines Hirschen – von der Idee einer Weltsprache und ich sagte: There once was Esperanto. Und Ingeborg aus Norwegen sagte: Now there is English.
Vielleicht genügt es, dass wir uns bewusst sind, wie bestimmend Worte werden können, Erzählweisen festlegen, Werte festmachen, die auch anders gedacht werden könnten. In diesem die-Dinge-anders-denken, um sie aus vielen Perspektiven zu betrachten, könnten sich Menschen freier und doch aufgehobener fühlen und bereiter werden, die manchmal quietschenden Türen zu einer gemeinsamen Zukunft aufzumachen. Denn die Gelassenheit, die einsetzt, wenn man andere Sichtweisen zu verstehen beginnt, ist gesünder zu erreichen als die sture Rechthaberei.
Dank Lebenserfahrung, Recherche, Austausch, Denken und mithilfe von Menschen und deren Reflexionen aus Forschung, Kunst, den Sozialwissenschaften und das Verhalten von Tieren beobachtend, hat sich Haraway als Biologin und feministische Theoretikerin in die Lage gebracht, in den beiden ersten Kapiteln jene geschlossenen Denkräume zu beschreiben, in welchen Gesellschaften leben. Sie sagt auch, dass Menschen die Welt (Terra) beschreiben, also Sprache haben, die Handlungen auslösen, die Konsequenzen für andere haben, die ohne Sprache sind. Der Jaguar weiß nicht, was ein Jaguar ist. Die Blume weiß nicht, dass eine ihrer Wandlungen in der deutschen Sprache blühen genannt wird. Der Pilz weiß nicht, dass er Sporen hat. Er ist einfach und er ist einfach. Aber Mensch weiß ja noch gar nicht, wie Pflanzen miteinander sprechen. Also.
Dass Menschen Sprache anwenden und mit ihr Dinge bestimmen, die Folgen haben, bedeutet für Haraway nicht, dass sie tatsächlich Einfluss auf Welt und Weltbefinden haben sollten. Sie hinterfragt sogar den Begriff Anthropozän. Das ist am Rand nur ein Widerspruch zur responsablen, verantwortungsvollen Bewusstheit und ergo Handeln, das sie fordert. Haraway kritisiert den Begriff, weil er den Mensch in den Mittelpunkt einer Epoche stellt.
Tatsächlich kann der Begriff, der von Eugene F. Stoermer und Paul Josef Crutzen wirkungsvoll herangezogen wird, so gelesen werden, als ob es nichts anderes gäbe auf dem Planeten Erde, als den Menschen, der Allmacht geworden ist und den Planeten nun zerstören kann. Auch ob er ihn noch retten kann, weiß er zu sagen und terminlich zu bestimmen.
Stoermer und Crutzen haben den Begriff aber aus tiefer Sorge um den Planeten verwendet und um eine Art Resonanzraum zu schaffen, den Forschende und Denkende miteinander in Verbindung bringt. Das ist ihnen gelungen.
Allerdings stelle ich mir vor, dass es der Erde egal ist, ob wir da sind oder nicht. Und das ist sehr wahrscheinlich die Ausgangslage, mit der Menschen heute umgehen müssen.
Auch Haraway sieht die Natur als Wesen, als Kern allen Handelns, in allen lebenden und sterbenden Wesen enthalten. Diese Kraft ist stärker als die verbreitete, profitorientierte Denkweise des Menschen. Das ist für jene hart, die mit der Diskussion um Umwelt und auch mit der Diskussion um den richtigen oder falschen Kapitalismus (Profitorientierung) nichts zu tun haben wollen und sich in der Abgrenzung und im Rechthaben ausgebreitet hatten. Es ist nun mal so und keine Diskussion. Sie würden sich vielleicht, läsen sie das Buch, in ein, zwei Abschnitten als mit der Autorin Verbündete wiederfinden. Anders ginge es jenen, die auf Anthropozän setzen, um aktivistische Ziele zu verfolgen oder in Pressetexten von Firmen, die ihre Strukturen oder ihren Output greenen und dafür mit dem Begriff arbeiten. Als Anthropozän wird das gegenwärtige erdgeschichtliche Zeitalter bezeichnet, in dem der Mensch zum dominanten Antriebsfaktor globaler Umweltveränderungen geworden ist.

Das Buch hilft mir, die Gegenwart zu lesen und schafft in mir gleichzeitig einen Raum für eine ernsthafte Weltlichkeit. Während ich lese, denke ich, bekomme ich Ideen, um meine Beiträge zu gestalten, trainiere ich mein die-Dinge-anders-denken und unruhig zu bleiben. Haraway führt mich provokativ zu einer Art Rundumdenken, mehr-perspektivisch und vielleicht deshalb ernsthaft eine Art Hoffnung aufbauend. Ich spüre noch keine Angst, aber Hoffnung ist – auch wenn man sie kaufen kann – doch neu. Schwer zu beantworten ist auch die Frage: Wie werden wir Wesen also zusammenfinden? Richten wir Labors ein, um Konversation auszuprobieren?
Unruhig zu bleiben bedeutet auch, dass die Sinne mitmachen. Wer seine Sensoren ausgeschaltet hat, kann nicht Teil einer Entwicklung sein, die ernsthaft an einer lebenswerten Zukunft interessiert ist. Wer bereit ist, sich zu bewegen, zu lernen, zuzuhören, sich umzudrehen, zu verzichten oder etwas zu verdichten, neu zu flechten, zu entwirren, durcheinander zu wühlen, um die Dinge anders hinzulegen, eine neue Ausgangsbasis zu schaffen, wird das erfahren, was gemeinsam Weitermachen heißen kann.

„Den Raum offen zu halten könnte – oder kann manchmal auch nicht – das Aussterben auf eine Art und Weise hinauszögern, die reine Komposition oder Wiederkomposition von gedeihenden naturkulturellen Assemblagen möglich macht.“ D.H.

Wie wird Unruhig bleiben gehen, wenn künstliche Intelligenz vielleicht als Lebewesen von sich aus aktiv wird und also gleichberechtigt miteinbezogen werden muss? Jetzt ist uns die künstliche Intelligenz noch suspekt und wir sehen sie als eine Art Gedankendoubletten-bereinigte Optimierung menschgemachten Wissens und Denkens, aus hypothetischen what ifs und sozusagen gebüffelten Zahlen, Formeln und Grammatiken. Doch die Warnungen der Entwicklerinnen und Entwickler sind in der Welt. Sie (wer genau?) soll/sollen sich verselbständigen können. Was wäre, wenn sie mit z.B. Bäumen oder Tieren kommunizierten? Wie würden sie über Menschen reden? Würden sie sich verbünden? Können wir diesem Gedankenspiel standhalten und uns dazu verhalten? Oder wollen wir mit Slavoj Zizek mehr oder weniger lachen und (sinngemäß) sagen: Sollen doch die künstlichen Intelligenzen miteinander ausmachen, was sie tun und haben wollen. Sie sollen uns einfach in Ruhe lassen.

In Ruhe gelassen zu werden ist vielleicht so viel wie sich selber auszugrenzen. Aber die Grenzen sind verschwommen, alles ist (glücklicherweise, will ich rufen!) fluid, sich transformierend.
Gibt es also tatsächlich andere Zukunftserzählungen als die jetzigen? Haraway spricht in ihrem Buch auch von der Dringlichkeit, neue Geschichten für die Zukunft zu erzählen. Der Begriff Geschichte ist mit Anfang, Ende und Held kathartisch rahmenfest und menschbezogen. Deshalb vielleicht sprechen die Geschichtsbücher oft nur von gewonnenen und verlorenen Kriegen, von Macht und Intrige, und kaum davon, was gut funktioniert im Leben und Sterben der Wesen, die die Erde zu dem machen, wie wir sie kennen. Ich meine, dass am Anfang der Beutel war ist vielleicht klar, doch wir kennen Jahreszahlen auswendig, 1315 (Viertelnacheins) Schlacht am Morgarten. Aber konnten Lebewesen je von Kriegen lernen?

Die von Wirtschaftsinteressen, Technologieergebenheit und Fortschrittsglauben kolonialisierte Zukunft muss ins Jetzt geholt werden. Doch müde sind wir und die Zukunft ist bereits vollgestellt mit Dingen, die wir auch noch tun sollten. Geld zum Leben muss angeschafft werden, das Handy sagt, wie viele Schritte noch bis zur Tagesfitness zu gehen sind und wie wir „at a new planet free from history“ glauben sollen. Ich versuche, darüber nachzudenken und lese weiter. Kapitel 3. Es heißt: Sympoiesis . Symbiogenese und die dynamischen Künste, beunruhigt zu bleiben.

Wohin geht die Welt, wenn sie untergeht? Wie wird es sein, wenn Wale über die Alpen schwimmen?

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