Essay

Wie geht es Ihnen? Schauen Sie zurück? Warum posten viele Menschen gerade Bilder aus ihrer Kindheit in den sozialen Medien? Was geben sie preis? Wem schenken sie die Bilder von damals? Was zeigen sie? Und was ist das jetzt? Das was hier still, geruchlos, unsichtbar den Menschen den Atem raubt und der Natur das Atmen zurückgibt?

Vor ziemlich genau neun Jahren lernte ich von Baiba Kraniche zu falzen. In ihrer geduldigen und freundlichen Art hat sie neben mir gesessen und gefalzt und gefalzt und ich ihr nach, dann rief ich wieder «halt» und sie hielt inne und zeigte mir wie weit der Vogel in ihrer Hand schon gediehen war und sie schaute auf das was ich in den Händen hielt und sagte vielleicht, hier musst du andersrum falzen, oder das muss genau aufeinander passen, sonst hast du nachher keinen schönen Vogel. Natürlich wollte ich einen schönen Vogel. Viele schöne Vögel. Wir hörten vielleicht Musik, ich weiß es nicht mehr genau. Es waren noch andere da, die auch Kraniche falzten. Sie wurden startklar gemacht für die Luftpost. Und Baiba packte sie alle in Kartonschachteln. Morgen müssen sie los. Sie waren für Japan bestimmt. Dort hatten ein Erdbeben, ein Tsunami und ein leckes Atomkraftwerk eine Katastrophe geboren, eine Reaktorkatastrophe, bei der viele Menschen starben, krank wurden. Und wir alle, bis auf die anderen, dachten damals wieder einmal, dass sich bei den Menschen nun etwas ändern würde, in Bezug auf ein verantwortbares Menschenleben als Teil der Erde. Kraniche sind ein Symbol für Kraft und Glück. Wir falzten Tausende, und beim Falzen beteten wir still für die Natur und die Menschen dort, für jene, die gestorben sind und für die, die noch lebten. Heute können wir die Kraniche für unsere Nächsten falzen. Und für jene, die unsere Nächsten in diesen Tagen und Nächten betreuen. Und für uns selbst.

Ich fand ein stilles, langsames Video von zwei geduldigen, schönen, einen Kranich falzenden Händen (Link zum Tutorial siehe weiter unten). Denken wir beim Falzen wieder daran, dass sich etwas verändern wird. Fragezeichen. Oder sagen wir einfach, die Gesellschaft oder die Welt (was mir nun doch etwas weit gefasst scheint) wird eine andere sein nach Corona. Fragezeichen. Wir sollten formulieren, was wir für unsere Zukunft wollen. Gerade jetzt können wir bei uns selbst anfangen. Und gemeinsam können wir können falzen und beten, schlafen und lesen, einander zuhören und dankbar werden, Listen schreiben und sie wieder verwerfen, still sein, da sein, absichtslos oder auch nicht, einander auf zoom beim dancing with myself zuschauen und dann doch … endlich … nachdenken. Darüber: … und jetzt? 

Wollen wir Aussichten auf solidarische Zusammenlebensformen schaffen, die auch unserer Verletzbarkeit gerecht werden und nicht nur den Leistungen, die wir zu erbringen haben und die wir minutiös kontrollieren (lassen), ob sie denn auch rentieren?! Oder warten wir mal einfach auf die Normalität, die die ersten schon wieder zurückhaben wollen? Was genau wollen wir davon noch haben? Verschwenden wir diese Tage nicht damit, die Zeit totzuschlagen oder die Covid-Toten-Kurven der Länder zu vergleichen. Wir haben anderes zu tun als eine derartige, sinnlose Reaktionskatastrophe zu produzieren. Schaffen wir am Nachher. An guten Aussichten. 

Allerdings dürfen diese guten Aussichten dann nicht von Rating-Agenturen bewertet werden. Auch jetzt versprechen Regierungen Geld oder sie weissagen, der Peak werde nächste Woche erreicht sein, und nach dem Verdikt von Fitch, Moody‘s usw. verändern sich dann die Börsen-Indizes. Es wird an Bewertungssystemen festgehalten, die nicht mehr gelten können. Wir müssen formulieren und wertschätzen, was wir meinen, sei wertvoll. Soll sofort mit der Arbeit und dem Austausch anfangen, wer Zeit hat und nicht mit Krankheit und dem eng gewordenen Alltag hadert. Verwenden wir diese Tage für die Verantwortung, die wir mittragen, wenn wir offenbar gerade doch wieder Wir sagen und es für einmal nicht national oder regional gemeint ist. Es ist Zeit, uns in die Politik der Natur einzuarbeiten, damit wir als Menschheit in ihrer Zukunft vielleicht eine Stimme bekommen. Die Natur ist nicht auf uns angewiesen, wir sind auf sie angewiesen. Das müssen wir doch verstehen!

Ich setze mich jetzt an meine Liste, still und mit guten Gedanken Kraniche für jene falzend, die sie brauchen können in dieser Zeit, neben mir mein Notizbuch… 

There is work to be done! 

Weiterdenken:

Every night in the world

every night in the world

every night in the world

is a night

in a hospital

Robert Lax

Zum Bild: Die gelbe Flagge ist die Qflag. In der Schifffahrt anderer Zeit, kommunizierte sie, dass alle an Bord gesund sind. Speriamo bene!

Saskia Sassen, talking with Srecko Horvat (both member of DiEM25.org, Democracy in Europe Movement):

What if this is the beginning of a possibility?

DiEM25 TV – people thinking about the time after the virus.

Auch andere Talks auf Youtube im Diem25 Channel sind interessant, bspw. das Gespräch zwischen Brian Eno und Yanis Varoufakis oder zwischen Astra Taylor (What is democracy?) und David Alder. DiEM bedeutet Democracy in Europe Movement und wurde 2016 in Berlin an der Volksbühne gegründet.

Zum Tutorial: It’s easy, origami cranes, concentrate on this!

Mehr Hintergrund: How Paper Cranes Became a Symbol.

Die Zukunft denken beginnt jetzt. Oder? Matthias Horx – Ein interessanter point de vue: Die Zukunft nach Corona.

Noch mehr nachdenken mit Julio Vincent Gambuto: Prepare for The Ultimate Gaslighting. @forge.medium

Mein Freund Stefan Hunziker hat auf Campax Make Change happen die Kampagne Kehrt verwandelt in den Alltag zurück! gestartet. Ich habe sie mit-unterzeichnet.

 

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