Essay
Alles ist relativ und ich bin ja schließlich Künstlerin… Unzulänglichkeiten sind all die Zustände und Tätigkeiten, die schwierig werden, wenn man sich zurückhält, weil man ahnt, weiß oder Angst hat davor, bestimmten Anforderungen nicht zu genügen. Über eigene Unzulänglichkeiten zu schreiben, ist keine einfache Aufgabe, sie ist sogar eine nahezu blöde Tätigkeit, geht es doch darum, einen Mangel, eine fehlende Schraube, eine falsch angelegte Fähigkeit im Charakter – oder sagen wir in der Psyche – zu beschreiben. Und dies obschon es bekanntlich kein Falsch und kein Richtig mehr gibt. Es ist was es ist. Wertfreie Beschreibungen sind in. Introspektion ist out, da weder sexy noch gefragt. Deshalb vielleicht tue ich es trotzdem und entdecke dabei einmal mehr, dass ich mich in Zusammenhängen sehen muss. Es ist meine Prägung, rufe ich, nein, ruft meine Schwester, wir sind nur im Jetzt*, das was war zählt nicht! Doch, rufe ich, auch das was war zählt! So streiten wir ein bisschen. Mehr nicht.
Bleiben wir bei den Unzulänglichkeiten. Wenn ich also ehrlich sein soll und ich meine, das soll ich, so muss ich zugeben, dass auch ich gerne leicht im Jetzt herumfliegen würde und sorglos Spaß, ja bitte gerne unendlichen Spaß sogar, haben möchte. So plante ich also vor einigen Jahren das Ablegen aller förigen** Schweren in einem Endlager für restliche Gedanken, nichtsnutze Ängste, alte Muster und so Sachen, die unnötig unter der Haut und in den Erinnerungen schwelen und als wiederholt implodierende Schmauchpilze mal aufbegehren und schnaufen, dann wieder brav + still sind. Jedenfalls hatte ich zusammen mit einem Freund ein ernst gemeintes Projekt mit www domain usw., also Endlager punkt ch oder so was mit .org oder .net, vorgesehen. Wir hatten Stunden darüber gesprochen, waren enthusiastisch und auch überzeugt davon, dass das eine zeitgemäße Dienstleistung sein wird, um eben auch Unzulänglichkeiten zu entsorgen.
Aber dann reflektierten wir.
Nicht immer ist die Unzulänglichkeit tatsächlich eine Unzulänglichkeit. In Wirklichkeit ist eine Unzulänglichkeit nur gerade dann eine solche, wenn die Zweifeltante mit ihrer alten Tasche aus dem Brockenhaus am Arm daherkommt. Sie kann einen immer dazu bringen, es so zu sehen wie sie will.
Ganz anders tun es oft nahe Menschen. Sie glauben an dich. Menschen, die an dich glauben, sind wichtig im Leben, manchmal wichtiger als man selbst, doch ohne man selbst geht es ja auch nicht, das Leben. Das eine bedingt das andere… Eine Redakteurin sagte letzthin zu mir: Du kannst alles, du machst alles*! Ich schüttelte heftig den Kopf, denn ich schaffe ja nur einen gefühlten Viertel von dem, was ich überhaupt machen will und etwa die Hälfte von dem, was ich mir zutraue. Davon geht noch einmal ein Achtel beim Zweifeln drauf und ein weiterer Achtel geht in Träumen unter. Also alles ist das noch lange nicht, jedenfalls nicht was ich zu tun wünschte. Und von Können zu reden, ist mir aus verschiedenen Gründen zu aufwändig. Ich tue, was ich kann. Das ist subjektiv und bleibt subjektiv.
Endlich aber jetzt zu einem Beispiel kommend, das dieser Beitrag herausschälen will: Eine meiner Unzulänglichkeiten ist, dass ich nicht so wahnsinnig gerne, sondern nur ein bisschen, im Mittelpunkt eines Geschehens stehe. Doch in diesen Tagen erscheint ein Buch von mir. „Bernstein und Valencia“ der Titel. Ich werde also zeitweise in einem Mittelpunkt stehen. Vielleicht fragt jemand von der Presse nach einem Rezensionsexemplar, um das Buch zu lesen und darüber zu schreiben. Dann folgt die Auslieferung an die Buchhandlungen. Ich plane eine Lesereise für den Winter 2018/2019. Vielleicht werde ich eingeladen werden und dann nach dem Lesen noch etwas sagen müssen. Ich werde mich kurz halten wollen, weil ich das so gelernt habe. Vielleicht werde ich mich verhaspeln, vielleicht aber nicht. Ich werde etwas über die Entstehung verraten und ob eine Geschichte aus welchen Gründen wichtig für mich ist.
Vielleicht passiert aber auch gar nichts. Dann werde ich mich wundern, wozu ich all das tue, wenn es doch noch andere Dinge zu tun gibt auf der Welt, die wichtiger wären.
Zum Buch: In den 22 Erzählungen geht immer um das Spiel zwischen Nähe und Distanz. Die Ausschnitte von Leben handeln von der human condition, oder besser der hum-animal condition. Einmal geht es um die Transformation zweier Menschen unter Wasser. Einmal ist es ein Törtchen und ein Mensch. Einmal ist es ein Junge und seine Mutter. Einer ist schon alt und sein Traum von einer Begegnung mit einem Ich ist auch in diesem Buch und wiederholt sich wie ein Kopfkino zur Selbstbefriedigung. Olga verliert ihren Rockstar, von dem ihr nur ein Haarbüschel bleibt. Ein Mädchen haut ab mit einer Frau und zwei Frauen verdrehen einander oder einem gitarrenspielenden Vampir den Kopf. Ein Ich geht in einem Haus von Raum zu Raum und trifft auf die Frau mit zwei Hunden, den damaligen Superintendant der iranischen Meeresflotte und schließlich bricht ein Aquarium im obersten Stock und Welse gelangen in den Speisesaal. Sonst aber ist alles in Ordnung.
Bevor ein Buch gedruckt ist und auf den Markt kommt, ist es noch ganz meines, danach wird es ein anderes. Und auch die Unzulänglichkeiten werden neu definiert. Also brauche ich sie nicht, wie halbwegs überzeugt eingeleitet, hier auszubreiten. Alles ist relativ und I am schließlich an artist.
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*Was das Jetzt und das Alles sei, wären noch einmal zwei andere philosophische Diskussionen. Zum Jetzt eine Idee von Paul Takács: „Erinnerungen und Gedanken vernetzen das Jetzt mit dem Vorherigen und dem Kommenden.“
**förig ist gleichbedeutend mit „übrig“. Da schon so viele Worte mit ü und u und un da standen, wählte ich ein träfes*** Wort aus meinem Dialekt. Auch weil es so schön klingt, wenn man es mit starkem f, langem ö und einem harten g am Schluss ausspricht. Das i darf leicht gehickst werden.
***träf ist gleichbedeutend mit treffend.
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P.S.
Mein Freund und ich haben es übrigens nicht weit gebracht mit dem endlager punkt ch oder org oder net oder so, denn wer will schon so weit denken. Dazu noch das Punktesystem, das wir zu entwickeln hatten. Also je mehr man endgelagert hätte, desto mehr Punkte hätte man sammeln können. Wir fragten uns: Was wäre der einzulösende Gewinn? Eine Pfanne hat jede und jeder schon, Geschirr auch, Plastikbehälter und Schöpfkellen auch. Die letzte Idee war ein Tropfsystem für die Zimmerpflanze während einer Ferienabwesenheit…. aber wer hat noch Zimmerpflanzen?
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Zu den Schmauchpilzen noch diese Aufklärung:
Wer Schmauchpilze kennt, weiß was gemeint ist. Allen anderen sei hier gesagt, dass es die Wortkombination nicht gibt, doch in meinem Buch kommt sie trotzdem vor. Schmauchpilze sind Phänomene. Sie wachsen da, wo Dinge alleingelassen werden und modern. Sie atmen laut und stoßen dabei Rauch aus.
Sibylle Ciarloni, Bernstein und Valencia, ISBN 978-3-906311-44-9, im Buchhandel erhältlich