Heute ist der internationale Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. In der Zeitung steht: Griechenland soll aus dem Schengenraum ausgeschlossen werden, weil das Land die europäischen Grenzen absichtlich nicht genügend sichere.

Als ich einmal in Portopalo di Capo Passero auf Sizilien war, sagte mir ein Mann, er habe seinen Beruf an den Nagel gehängt. Zu viele Tote. Zu viele falsche Gesetze. Damals galt in Italien vorübergehend ein Gesetz, dass Schiffbrüchige nicht gerettet werden dürfen. Der Mann war Fischer.

Als Blocher noch im Bundesrat war, habe ich ihm aus einem damals aktuellen Anlass einen Brief geschrieben. Ich bat ihn, seine schwarzenbachschen Forderungen menschlich und umsichtig zu bestimmen und nicht nach den schmalen Einheiten, die den Anhängern seiner Schweizerischen Volkspartei gefallen. Er habe den Brief zur Kenntnis genommen. Schrieb sein Sekretariat.

Als die Initiative gegen die Masseneinwanderung angenommen wurde, zweifelte ich an der Bildung der Stimmberechtigten. Doch alles Nachdenken und Diskutieren half nicht.

Also gut.

Nachdem ich mindestens schon dreimal mit Als angefangen habe, um an Grenzposten und im Schweigen zu enden, will ich bei einer Geschichte bleiben, bzw. sie anfangen und zu Ende erzählen ohne allzu viele Verbindungsfäden zu legen und Zusammenhänge zu sehen. Vielleicht gelingt es mir, von einem Tag in meinem Leben zu erzählen:

Heute tat ich nur das, was ich tun wollte. Ich schrieb zunächst an einem neuen Text und habe später meinen biometrischen Pass auf dem Konsulat abgeholt, eine Freundin getroffen, per Zufall einem mittelalterlichen Treiben in Basel zugeschaut und mich gewundert über die Begeisterung und die Herren mit den Ehrenzeichen an der Brust. Es war fast wie mit dem Steppenwolf durch die Gassen zu ziehen. Nur war da noch Tag. Am Abend kochte ich. Dann kam am Radio die Nachricht, dass Human Rights Watch den World Report 2016 veröffentlicht hat. Ich google 338 Seiten zum Download.

Ich lese von den vielen rassistisch motivierten Verfolgungen. Es werden Vorkommnisse in zehn Staaten beschrieben. Viele haben auch mit den Grenzziehungen gegen Menschen auf der Flucht zu tun. Werden Menschen auf der Flucht selbstgerechten Hetzerinnen und Hetzern überlassen, dann hat die Europäische Union wenig mit den Vorstellungen von einer Region zu tun, die sich gerne mit Menschenrechten und Wohlstand schmückt.
Menschen werden kommen und Menschen werden gehen. Wir können sie empfangen und uns für die Zeit, die sie mit uns verbringen, miteinander arrangieren. Manche werden sich für uns interessieren und ihr Leben in unserer Nähe aufbauen. Andere werden zurückreisen. Was ist daran so gefährlich? Warum kann man nicht wollen, dass jemand aus einem Kriegsgebiet oder aus einer armen Region ein neues Leben gestalten will? Ich lebe in dieser Region, die sich Europa nennt, ich schreibe, denke nach, lese Bücher, reise manchmal über die Grenze nach Süden, manchmal nach Norden, freue mich über Begegnungen und über jedes Mal, wenn ich etwas lernen kann. Ich bin nicht auf der Flucht und kann nicht wirklich viel wissen davon. Allerdings glaube ich noch immer, dass Frieden ist ein Grundbedürfnis ist.

Heute ist der internationale Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Ich hoffte, „sowas“ sollte sich in keiner Weise wiederholen, aber alles Ausschließen hat immer schon irgendwo angefangen. In einer Straße, an einer Grenze, in Menschenköpfen.
Jetzt die Nachrichten. Jede Stunde einmal auf dem staatlichen Sender. Die kurze Meldung aus der Zeitung von heute Morgen wird wieder gegeben. Griechenland soll aus dem Schengenraum ausgeschlossen werden, weil das Land die europäischen Grenzen absichtlich nicht genügend sichert.
Absichtlich. Unvorstellbar.
Noch weniger kann ich mir vorstellen, dass Regierungen und laute Politikerinnen und Politiker sich ernsthaft auf Grenzschliessungen konzentrieren können, wenn Menschen in Not sind.
Gut vorstellen kann ich mir allerdings, dass man nicht mehr als Fischer im Mittelmeer Fische fischen will, wenn tote Menschen in den Netzen hängen.

 

Bild: Sibylle Ciarloni, 2023

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