Ein kurzer Bericht über den Besuch in einem Walbauch, die Projektion von Vorstellungen, Künstlerscheiße und das Schöne daran.
Wir stehen in einem Kreis. Ich neben anderen. Die anderen sind eine Gruppe. Ich bin da hineingeraten, weil ich schon da stand und in den Videofilm vertieft war, der auf den Boden projiziert wird. „Das ist die erste Videoarbeit der Künstlerin. Es zeigt sie vom Mund bis zum Anus, also das Einverleiben und Ausscheiden.“
Von was? frage ich nicht.
Es sei immer so, dass sie so arbeite. Sie arbeite mit dem Körper. Sie arbeite mit ihrem eigenen Körper und den Körpersäften und dem Einverleiben und dem Ausscheiden und das sei ihr wichtig. Das Körperliche.
Die Expertin hat ihre Sprache der Gruppe angepasst. Hinter mir fragt ein Mann einen anderen, wie viel Zeit man für die Produktion eines solchen Videos brauche. Der andere murrt. Die Gruppe geht weiter. Ich bleibe zurück, schaue noch einmal genauer auf die nackte Pipilotti Rist in ihrem Verdauungsreigen. Das Schöne daran ist die Wiederholung der wenigen Kameraeinstellungen und das Weglassen aller Künstlerscheiße. Was sowohl bei Piero Manzoni in den anfangs der Sechzigerjahre (wahrscheinlich) mit seinen Fäkalien luftdicht verschlossenen Dosen wegbleibt und bei Pipilotti Rist ebenfalls nicht erwähnt wird, ist jegliche Erklärung über das, was einverleibt und was ausgeschieden wird. Handelt es sich doch ganz einfach um den das Dasein von Kunstschaffenden ausmachende sich wiederholende Akt des Aufnehmens und das Verarbeiten, um schließlich in irgendeiner Form das zu Sehende/Sagende zusammenzufügen und zu zeigen.

In allen drei Ausstellungsräumen wandeln wir im beunruhigenden Halbdunkel eines beinahe still verdauenden Walbauches. Aus den Boxen da ein Blubbern, dort ein Knistern. Im Hintergrund das Lied No, I don’t wanna fall in love – with you. Es sind viele Menschen da. Hunderte fast jeden Tag. Wer will, versinkt in der Welt der Künstlerin. Die auf Vasen, Betten, Schränke, den Boden, die Leinwände und auf Stoffe projizierten Arbeiten zerren an den Kleidern, berühren einen am Oberarm, im Gesicht, am Bauch, innen drin. Wie kleine Tiere streunen Kameras durch Wiesen und Gärten, den Wurzeln entlang oder an Körpern hoch. Eine Tomate wird von einem bärtigen Mann verschlungen. Aus den Mundwinkeln tropft der rote Saft. An schlimmen Zähnen vorbei gelangt man einmal mehr in das Innerste eines Körpers, wo man eher nicht bleiben möchte. Jene Bilder des Innersten und die Bilder des Weltalls beginnen jetzt, einander zu gleichen. Wie viele unbeschreibliche Ideen kleben in unserem Bindegewebe? Das Hinschauen von Pipilotti Rist führt uns zu den Vorstellungen von dem, was zwischen den Dingen und in den Dingen passiert. Was möglich wäre. Wir schlendern Häusern entlang über Gehsteige und ich denke mir aus, dass dort, bei Nummer elf vielleicht, sich in der Knospe eines Mauerblümchens ein Edelstein versteckt, in dessen Funkeln ein neues Mauerblümchen zwischen Backsteinen hindurch in den Tag sprießt. Oder wie ich mir beim Schwimmen zuschaue und wie sich mein Körper im Wasser bewegt. Manchmal tauche ich auf den Boden des Bassins und die Luft in meinen Lungen gerinnt zu einem dichten Nebel, aus dem mir jemand entgegenkommt, den ich zu kennen glaube. Einmal erinnere ich mich, wie ich als Schaf in einer Herde verschwinde.
Betrunken verlasse ich das Halbdunkel des Walbauches im Kunsthaus Zürich und scheide mich aus.

 

Bild: Sibylle Ciarloni, 2022

Share this post